Theater - meine Liebe

2000 – 2020

Theater ist für mich ein Zuhause, in dem das Leben, seine Geschichten und alle Gefühle erforscht, geteilt, erklärt und gelebt werden. Ein Raum, in dem die Beobachtung eine Hingabe an das Leben ist. Die Basis, die wir Theater- und Kunstschaffenden teilen, besteht in der Beobachtung ohne Bewertung. Wir beobachten uns, unseren Körper, wie er funktioniert, wann er was, wie, wann macht. Wie sich welche Bewegung anfühlt. Wie sich Nicht-Bewegung anfühlt. Wir lernen, wie sich unsere Gefühle anfühlen, wo im Körper welches Gefühl sitzt, welche Farbe, welchen Klang, welche Bewegung es hat. Wie es in die Welt hinausschaut. In der Theaterfabrik erlebte ich, wie stark die Energie in einem Raum werden kann, wenn alle Spielenden ihren Fokus halten, eine gemeinsame Absicht verfolgen. Diese geballte Konzentration habe ich damals sehr geliebt und liebe sie noch heute. Zeitgleich geschieht im Augenblick der absoluten Vertiefung in die Kunst etwas mit mir, was sich zauberhaft anfühlt. Es ist, als ob ein «Etwas» in meinen Körper fährt und mich agieren lässt. Ich bin im Moment. Ich bin im Spiel. Ich bin in der Rolle. Kurz nach dem Spiel, nach dem Applaus, wenn ich das Kostüm abstreife, überlege, ob ich das Make-up nicht einfach auf der Haut lasse, merke ich, dass ich mich gar nicht richtig daran erinnern kann, was ich kurz vorher performt habe. Es ist wie ein Traum und ich fühle mich berauscht. Ich liebe es.

 

2000

Ich stehe vor dem Haupteingang des Geraer Theaters und lasse meine Augen über die Büsten Schillers und Goethes wandern. Gera ist meine Geburtsstadt und das Theater gehörte schon in meiner Kindheit zu meinen Lieblingsgebäuden. Damals hatte es noch einen grün-weisslichen Anstrich, der seine Glanzzeiten schon erlebt hatte. Ich mochte das Schmutzige irgendwie, auch liebte ich den Dreck auf Goethes und Schillers Köpfen, der wie gezeichnete Schatten wirkte. Dieses Haus weckte schon immer das Gefühl der Geborgenheit in mir. Doch das ist nicht der Platz für meine frühkindlichen Erinnerungen. Nein, wir befinden uns mitten in meiner Pubertät! Ich gehe also weiter, ein kurzes Stück in den Küchengarten und um das Theater herum. Ich bleibe wieder stehen und betrachte das Theater von der Seite. Es wirkt wie ein Dampfer. Ich starre das Haus an und gebe mich meiner Fantasie hin und nun beginnen sich gewisse Teile zu bewegen und das Schiff nimmt Fahrt auf, «Auf, auf Kameraden! Wir stechen in See!». Ich muss mich beeilen, denn die Probe beginnt in drei Minuten und ich muss noch alle Treppen bis in den obersten Stock hinauf. Naja, und umziehen sollte ich mich auch noch. Ab zum Hintereingang und schnell am Pförtner vorbei. Ich mag ihn. Oben angekommen steht die Tür noch offen. Die Probenzeiten sind meine schönsten Stunden in der Woche. Ich bin zu 100 Prozent in meinem Körper und im Moment. Ich mag Ulrikes Art mit uns zu sprechen, denn sie vermittelt uns durch ihre Umgangsform, dass sie uns ernst nimmt. Sie fordert uns heraus, wirklich niemand schafft es, in der eigenen Komfortzone zu bleiben. Ulrike ist nicht viel mehr in die Länge gewachsen als ich. Ihre Lippen sind schmal, spitz geformt und mit roter Farbe verziert. Ihr Gesicht und ihr Ausdruck faszinieren mich und ich hatte seit unserer ersten Begegnung das Gefühl, dass ich sie schon aus meiner Kindheit kenne. Ihre Stimme hat einen sanften Klang und ist zugleich fest. Ich hatte schon immer Probleme mit Autoritätspersonen, die sie nur hatten, da es ihr Beruf ebenso mit sich brachte oder weil sie älter als ich waren und deshalb einen Anspruch darauf erhoben. Ulrike war für mich eine natürliche Autoritätsperson, der ich sehr gern folgte, denn ich wollte so viel wie möglich von ihr lernen. Ich habe viel Verschiedenes von ihr und in der Theaterfabrik allgemein gelernt. Vor allem wurde mir klar, dass es für mich nie ein Leben ohne Kunst geben wird.

 

2020

So bin ich Theaterpädagogin geworden und begleite leidenschaftlich und projektbezogen Schulklassen und Gruppen. Es gibt Monate, in denen ein Projekt dem anderen folgt. und wiederum ruhige Zeiten, die ich zur Reflektion, Planung und Organisation nutze sowie eigene Performances und Stücke realisiere. Es ist mir eine Herzensangelegenheit geworden, junge Menschen mit meiner Spielfreude anzustecken und ihnen eine Tür in die Welt des Theaters zu öffnen. Mehr noch: Sie sind für einen Moment ein Teil dessen geworden und konnten am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, selbst etwas zu kreieren und nicht nur zu konsumieren. Wie es Pippi Langstrumpf einst sagte: «Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.» Ich fühle mich wie ein bunter Paradiesvogel, der von Schulhaus zu Schulhaus fliegt und gute Laune, frischen Wind und Inspiration mit sich bringt. Ich vermittle diese Freude nicht nur den Schüler:innen, sondern auch den Lehrpersonen. Viele Lehrer:innen haben sich mittlerweile freie Zeiten im Schuljahr geschaffen, in der wir gemeinsam Theater machen – und das auf dem Land in der Ostschweiz!  Ich möchte den Mut und die Freude am Gestalten unserer Welt weitergeben und ihnen ein buntes Werkzeug zur Verarbeitung von Gesehenem, Gehörtem, Gefühltem, Erlebten an die Hand geben. Denn auch das ist für mich Improvisieren und Theater spielen. Also dann: Spielt euch glücklich! Spielt euch frei!

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Theater muss frei sein!